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Agilität – was, wann, warum?

Agilität, Scrum, Kanban, OKR, Holokratie – haben Sie schon mal diese Begriffe gehört… und nichts verstanden? Da sind Sie sicher nicht allein.

Bei einem Geschäftsessen erzählt zum Beispiel Ihr Tischnachbar Herr Matthias Müller, Head of Project Management bei der LifeCycle Maschinen GmbH, begeistert von Scrum, das vor Kurzem in seiner Abteilung eingeführt wurde. Das ganze Team arbeite jetzt effizienter und transparenter, die Entscheidungen werden schneller getroffen, die Ergebnisse spürbar besser.

“Heutzutage ist Agilität im Unternehmen doch das A und O. Das Scrum-Modell hilft uns dabei, im Team agiler zu werden”, erzählt Herr Müller.

Die anderen Tischnachbarn nicken energisch. Wenn man sie aber fragen würde, ob sie Agilität definieren können, würde wahrscheinlich keiner von ihnen so recht eine genaue Antwort wissen. Es gibt wohl wenig andere Begriffe im unternehmerischen Kontext, die so unterschiedliche Definitionen und Mythen mit sich bringen, wie Agilität. Oft begrenzt sich das Verständnis auf das Erlernen der agilen Tools. Doch Agilität ist viel mehr als das.

Um zu verstehen, ob die agile Organisation wirklich “das A und O” – wie Herr Müller es formuliert – im eigenen Unternehmen ist, muss ein umfassendes Verständnis des Begriffes her.

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Warum überhaupt agil werden?

Doch warum soll man überhaupt Agilität verstehen und agil werden? Reicht es nicht, stetig hochwertige Produkte kostengünstig zu produzieren? Die Praxis zeigt: Das reicht schon lange nicht mehr.

Denn Unternehmen existieren nie in ihrer eigenen Blase. Sie sind immer an ihre Umwelt und die äußeren Einflüsse gebunden und müssen auf diese reagieren. Diese zeigen, dass in den letzten Jahren massive Marktveränderungen stattgefunden haben, die den Unternehmen viel mehr als nur qualitative Produktion abverlangen.

So ermöglichen der technologische Fortschritt und die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche eine immer schnellere Einführung und Etablierung neuer Technologien auf dem Markt. Doch gleichzeitig setzt der technologische Wandel und die schwankenden Kundenbedürfnisse die Unternehmen extrem unter Druck, immer schneller neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln und an den Markt bringen zu müssen.

Je nach Branche kann die Druckintensität natürlich variieren. Aber auch wenn im eigenen Wirtschaftszweig die neuen Technologien erstmal keine große Rolle spielen, können neue Marktspieler die Branche jedoch schnell umwälzen.

So ahnte wohl vor einigen Jahren kein Hersteller von gewöhnlichen Tretrollern, dass er mal von der Digitalisierung betroffen sein wird. Doch die Ausstattung der Tretroller mit einem E-Motor, Anschluss an ein GPS-System und die Vernetzung durch Apps haben den Markt revolutioniert und bisher unbeachtete Kundenbedürfnisse bedient.

Solche Marktdisruptionen erlebt man in den letzten Jahren in verschiedenen Branchen immer häufiger. Vor allem Start-ups machen größeren traditionell organisierten Unternehmen schnell Konkurrenz, indem sie sich stark auf die Kundenbedürfnisse fokussieren und ihre gesamten Produkte und Dienstleistungen entlang dieser orientieren.

Zudem werden die Technologien immer komplexer. Die Märkte und das Kundenverhalten – immer dynamischer. Der Spagat zwischen der Beherrschung neuer Technologien und gleichzeitiger Orientierung an Kundenbedürfnissen verlangt Unternehmen einiges ab.

Das Resultat – nicht jedes Unternehmen ist diesen Herausforderungen gewachsen. Auch etablierte Firmen können dabei schnell an ihre Grenzen stoßen. Doch agile Strukturen können dabei helfen, diese Herausforderungen zu meistern und Unternehmen anpassungs- und wettbewerbsfähiger zu machen.

Fachkräfte gewinnen – Generationswechsel durch Agilität meistern

Technologischer Wandel, dynamische Märkte und unbeständige Kundenbedürfnisse sind nur eine Reihe an externen Gründen für mehr Agilität im Unternehmen. Aber auch intern sprechen einige Faktoren dafür.

Mit dem Generationenwechsel der Fachkräfte von der Generation X zur Generation Y – und in wenigen Jahren zur Generation Z – vollzieht sich zum Beispiel ein Wertewandel bezüglich der Arbeitsmoral.

So analysierte die Kienbaum-MultiGen Studie¹, was für die Arbeitnehmer beider Generationen am Arbeitsplatz am wichtigsten ist. Für die Generation X ergaben sich folgende Top-3-Ergebnisse:

  1. Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen
  2. Abwechslungsreiche und herausfordernde Aufgaben
  3. Entscheidungsbefugnisse

Bei der gleichen Befragung der jüngeren Generation ergab sich ein unterschiedliches Bild:

  1. Gute Arbeitsatmosphäre
  2. Wertschätzung der Leistung (Lob, konstruktive Kritik, etc.)
  3. Abwechslungsreiche und herausfordernde Aufgaben

Für jüngere Menschen ist es also wichtig, auf Augenhöhe behandelt zu werden und Feedback zu ihrer Arbeit zu bekommen. Auch dies wird durch agile Strukturen erreicht.

Zum Beispiel übernehmen die Mitarbeiter in selbstständig organisierten Arbeitsteams Eigenverantwortung für konkrete Projekte. Anstatt der klassischen Top-Down-Führung arbeiten solche Teams eigenständig, offen und transparent. Die Mitarbeiter werden so motivierter, fühlen sich bei ihrer Arbeit wertgeschätzt und erzielen insgesamt bessere Ergebnisse. Auch die bürokratischen Wege – die ewige Hürde der großen Unternehmen – werden kürzer oder verschwinden sogar gänzlich.

Die agilen Strukturen machen das Unternehmen also auch attraktiver für Bewerber. Sie erhöhen die Erfolgschancen im harten Kampf um Nachwuchsfachkräfte.

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Agil = Flexibel?

Insgesamt hat ein agil organisiertes Unternehmen gegenüber einer klassisch strukturierten Firma also den Vorteil, schneller auf den technologischen, demografischen und kulturellen Wandel reagieren und so seine Wettbewerbsfähigkeit sichern zu können. Doch was heißt es für ein Unternehmen genau, agil zu handeln?

Bei der Definition des Begriffs passiert häufig der Fehler, dass Agilität mit Flexibilität verwechselt wird. Dieses Missverständnis gilt es beiseite zu räumen. 

Flexibel ist ein Unternehmen, wenn es sich an die veränderten Bedingungen kurzzeitig anpasst. Danach kehrt es aber in seine ursprüngliche Form zurück. Man nehme ein Beispiel aus dem Bereich Industrie 4.0. Nachdem dieser Begriff auf der Hannover Messe 2013 in der Eröffnungsrede von Angela Merkel gefallen war2, konnte man in den folgenden Jahren bei einem Elektronikfertiger folgende Einschätzung zu Industrie 4.0 hören: “Die Kunden möchten, dass wir jetzt Antennen auf unsere Produkte montieren. Also machen wir das auch”.

Das Unternehmen ging also kurzzeitig auf die neuen Kundenwünsche ein. Es erkannte eine steigende Nachfrage nach vernetzten Maschinen, doch im Grunde blieb das Unternehmen seiner ursprünglichen Form treu – es stellte weiterhin Elektronikteile her. Das Unternehmen handelte flexibel.

Ein anderes Unternehmen, ein Kompressorenhersteller, erkannte aber die Potenziale, die hinter der I4.0-Revolution steckten. Das Unternehmen erkannte, dass ein Angebot an Geräten mit Echtzeitdaten allein für den Kunden nur der erste Schritt wäre. Denn die Kompressoren müssen installiert, gewartet, repariert und modernisiert werden. Außerdem muss eine Software her, die die Druckluftanlagen untereinander vernetzt und die richtige Funktionsweise gewährleistet.

Also entwickelte die Firma einen “As a Service”-Ansatz und bot den Kunden nicht mehr nur das Produkt, sondern Druckluft als Dienstleistung an. Dadurch wurden alle Abläufe von der Installation, über Wartung bis zur Instandhaltung und Modernisierung von dem Kompressorenhersteller übernommen.

So konnten sich die Kunden besser auf ihre eigentlichen Kernkompetenzen fokussieren. Zusätzlich konnte der Kompressorenhersteller durch die Nutzung der I4.0-Möglichkeiten seine eigene Produktivität ebenfalls steigern.

Im Vergleich zum ersten Unternehmen, das nur kurzzeitige Flexibilität zeigte, handelte dieses Unternehmen agil. Das heißt, es konnte aufgrund der starken Kunden- und Technologieorientierung Veränderungen der Kundenbedürfnisse erkennen und durch die schnelle Implementierung neuer technologischer Möglichkeiten seine Organisation und auch das Geschäftsmodell nachhaltig verändern.

Das frühe Erkennen von Veränderungen und die Adaption von Technologien gelangen dem Unternehmen nur durch die starke Adaption agiler Methoden. Es berücksichtigte dabei die agilen Prinzipien auch bei der strategischen Neuausrichtung.

Wir sehen an den Beispielen, dass kurzfristige Anpassungen zwar schnelle Erfolge bringen können. Wer sich aber nachhaltig erfolgreich am Markt positionieren will, muss seine Form, Prozesse und Arbeitsweisen auf allen Unternehmensebenen ständig hinterfragen, verändern und weiterentwickeln.

Agile Methoden vs. Agile Organisation

Es gibt eine Reihe an Methoden und Tools, die agiles Arbeiten ermöglichen. Das am Anfang erwähnte Scrum ist zum Beispiel ein Framework für agiles Arbeiten. Doch auch beim Einsatz der Methoden ist erstmal Vorsicht geboten.

Denn genauso wie agil nicht flexibel heißt, bedeutet der Einsatz agiler Methoden nicht gleich eine agile Organisation. Nur wer ein Kanban-System für eigenes Projektmanagement benutzt und haufenweise bunte Post-its an die Wand klebt, arbeitet noch längst nicht in einem agilen Unternehmen. Was heißt also eine agile Organisation bzw. ein agiles Unternehmen?

Ein agiles Unternehmen:

  • entwickelt seine Organisation und Leistungen durch hohe Kundenorientierung weiter
  • ist stark zielorientiert, was sich im stetigen Erproben und Hinterfragen von Veränderungen widerspiegelt
  • arbeitet in dezentralen, selbstverantwortlichen Teams
  • verfügt über eine offene, konstruktive Kommunikationskultur auf Augenhöhe
  • verfügt über eine ausgeprägte Experimentier- und Lernfreude in allen Teilen der Organisation
  • verankert die agilen Prinzipien in seiner strategischen Ausrichtung

Eine agile Organisation umfasst also das gesamte Unternehmen mit all seinen Ebenen und Dimensionen. Demnach ist es wichtig, agile Transformation im Unternehmen ganzheitlich anzugehen. Man muss dabei im Kopf behalten, dass es keinen An- oder Aus-Knopf für Agilität gibt. Man kann sich nicht über Nacht von einem klassisch organisierten Unternehmen plötzlich zu einer agilen Firma entwickeln. Wie alle umfangreiche Unternehmenstransformationen braucht es Zeit, Hingabe und einer konkreten Strategie.

Agil Arbeiten – wo und wann es Sinn macht

Ebenso wenig kann man Agilität auf allen Unternehmensebenen gleichzeitig einführen. Und nicht in allen Unternehmensbereichen machen agile Strukturen überhaupt Sinn.

Ein ganz einfaches Beispiel aus dem Alltag: Sie wollen ein neues Rezept ausprobieren. Zum Beispiel wollen Sie lernen, wie man Sushi macht. Was ist Ihre Vorgehensweise dabei: Laufen Sie direkt los und kaufen frischen Lachs im nächstgelegenen Lebensmittelladen? Wohl eher nicht.

Wahrscheinlich lesen Sie sich erstmal ein, wie viele verschiedene Arten von Sushi es gibt. Dann entscheiden Sie sich für ein Rezept – vielleicht auch für zwei. Sie erfahren, dass für die Zubereitung eine Sushi Rollmatte benötigt wird.

Wenn Sie es vernünftig machen wollen, dann kaufen Sie nicht einfach irgendeinen Fisch aus der TK-Truhe, sondern informieren sich, wo man den besten Fisch für Sushi herkriegt. Außerdem wollen Sie das ganze Erlebnis genießen und unbedingt mit Essstäbchen essen. Diese müssen auch erst erworben werden. Das Einkaufen der eigentlichen Kochzutaten kommt also fast am Ende des ganzen Prozesses – unmittelbar vor der Zubereitung.

Und so ähnlich verhält es sich mit der agilen Transformation im Unternehmen. Die agilen Methoden haben den Ruhm, die Ergebnisse schnell voranzutreiben, ohne große bürokratische Systeme drum herum aufzubauen. Dies wird vor allem durch Leitplanken realisiert, die den Rahmen so abstecken, dass positive Erfahrungswerte aufrecht erhalten und Freiheiten gewährt werden.

Auch Scrum basiert auf solch einem Framework. Hierin werden Rollen, Artefakte und Ereignisse definiert, die das Grundgerüst darstellen. Dieses ermöglicht eine individuelle Umsetzung und vergleichsweise schnelle erste Einführung von Scrum.

Im Fall der Sushi-Zubereitung wäre also der vorgegebene Rahmen nicht das Rezept an sich, sondern die Leitgedanken. Diese sind eine hohe Qualität, die Frische der Zutaten und das authentische Erlebnis beim Servieren und Essen. Sie bilden den Rahmen für die Zubereitung. Die konkreten Sushi-Varianten und Rezepte können dann je nach Geschmack variieren.

Im Kontext einer agilen Organisationsentwicklung bedeutet dies, dass auch hier Leitplanken erforderlich sind. In diesen werden u.a. Relevanz, Nutzen und insbesondere die strategischen Wettbewerbsvorteile abgebildet, welche den Rahmen für die Transformation und die konkreten Inhalte bilden.

Also wo steht das eigene Unternehmen? Bereitet man Sushi nach Rezept zu und isst es dann doch noch mit der Gabel? Oder ist man bereits auf dem Weg zum Sushimeister?

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